Paul Heimbach: Tuschebilder und Transparentbücher
Rede anlässlich der Ausstellung im Bühnenhaus-Foyer, Gummersbach am 12. 2. 1978.
von Peter Gerlach

Sehr geehrter Herr Bürgermeister. Meine Damen und Herren,

Paul Heimbachs Arbeiten stehen heute zur Diskussion. Sie erwarten von mir Bemerkungen und Gründe, warum ich das, was Sie in dieser Ausstellung erwartet, für Kunst halte - und ob es mir gelingt, Ihnen diese Gründe plausibel zu machen. Indes, so richtig und geziemlich Ihre Erwartung ist - denn das war ja auf der Einladung zu lesen - ist die Antwort auf Frage: "ob-denn-das-Kunst-sei" - noch gar nicht entschieden, jedenfalls was mich betrifft. Für Paul Heimbach ist es wohl eher eine formale Frage, die er selber so gar nie stellt. Und wir haben zu sehen, ob wir nicht gemeinsam einen Weg finden, unser Wissen einzusetzen, um auch seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, in dem wir ihm anschließend gezieltere Fragen stellen können. Er ist anwesend und wird Ihnen im Anschluß an meinen kurzen Vortrag zur Verfügung stehen.

Beginnen wir mit dem, was wir sehen: Aguarellgleiche Farbtönungen auf großen Blättern mit unterschiedlichen - mal streifenförmigen, mal kreisförmigen Strukturen, die sich nicht als umrissene Form von den Farbfeldern, die sie umgeben, unterscheiden, sondern aus ihnen hervorleuchten, also sagen wir es einfacher: die heller, aber doch in gleicher Weise getönt erscheinen, wie ihre Umgebung. Haben wir das einmal festgehalten, machen wir das, was jeder Kunstkenner in einem solchen Augenblick versucht: nämlich an den Rändern - wie gerne der Kunstkenner karikiert wird: In gebückter Haltung und mit der Lupe in der Hand - herauszufinden, wie es aufhört. Die Ränder verraten es fast immer, wenn nicht der Rahmen oder das Passepartout gerade diese Stelle verdecken. Und hier zeigt sich folgendes: Die Farben lassen sich als sehr reine Töne unterscheiden. Das aber heißt, daß hier Farbschichten aufgetragen sind von anderer Anzahl oder Dichte als in den streifen- oder kreisförmigen Strukturen des Mittelteils. Weiterhin haben wir es in allen Fällen mit Serien zu tun, also farblichen Varianten auf gleichen Motiven.

Kunst nun hat eine Seite, auf der Einfall, Stimmungen, der ganze Bereich von Emotion oder Gefühlen sich versammelt. Kunst hat nicht minder - auf der anderen Seite - etwas zu tun mit Können: handwerklicher Präzision und Fertigkeiten, Treffsicherheit und kompositorischem Wurf, der den Einfall erst zum Werk werden läßt.

Fragen wir nach den Ahnen - nach den Wahlverwandtschaften derer, die sich den Anreiz für den Einfall selber provozierten: Hatte Leonardo den Fleck auf der Wand noch als drastisches Beispiel benutzt, um das Spiel der Phantasie seinen Zuhörern und Lesern deutlich zu machen, den Fleck an der Wand also nur als Ausgangspunkt für die Konzeption - den geistigen Ausgangspunkt fur eine bildliche Komposition gemacht und ihn nicht - jedenfalls für uns faßbar - für eine Zeichnung oder ein Gemälde als materiellen Ausgangspunkt benutzt, so ist dies in der Kunst des 19. Jh. nicht erst durch Wilhelm Buschs Experimente - die möglicherweise in seiner Beschäftigung mit der zeitgenössischen experimentellen Wahrnehmungspsychologie (etwa des Leipziger Wundt) - schon ein lehrreiches Grundexperiment. Aus dem Klecks auf dem Papier, sich spielerisch der bildlichen Phantasie überlassend, gestaltend eine Interpretation mit dem Zeichenstift der Wolkengebilde, der Klecksographien vorzunehmen. So geriet der selbstprovozierte Zufall zum selbstverständlichen Bestandteil einer experimentierfreudigen Kunsterziehung und zur Grundlage bildnerischer Gestaltung. Insofern Kunst etwas mit einer Bildkultur zu tun hat, haben wir es in dieser Hinsicht bei Paul Heimbachs Tuschebildern durchaus mit Kunst zu tun.

Kunst hat aber auch ihre ernsthafte Seite, diejenige Seite, wo einmal das handwerkliche Können im Vordergrund stand, die im Laufe der Zeit zu einer wissenschaftlich-experimentellen Seite hin entwickelt wurde. Experimente, mit denen sich der Künstler die handwerklich-technischen Möglichkeiten seines Mediums hartnäckig vertraut zu machen versuchte.

Uns allen sind die großen Meister, die sich immer mit der Erfindung von Techniken durch ihre überzeugende Bewältigung auch der feinsten technischen Raffinessen ausgewiesen haben, gegenwärtig. Technische Virtuosität ist damit auch ein Aspekt von Kunst: Paul Heimbach hat eine Technik erfunden, die der Ausgangspunkt für die Produktion seiner Tuschebilder ist. Das weisse Zeichenpapier wird an den Stellen mit sauberem Wasser benetzt, die sich als Streifen oder Kleckse später in der fertigen Komposition als Struktur von anderer Farbigkeit abzeichnen sollen. Dann schiebt er das so präparierte Blatt in eine große wassergefüllte Schale, in die er die Nuance von Tuschefarbe zuvor eingeträufelt hat, die als unterste Farbschicht erscheinen soll. Bei diesem Farb-Wasser-Bad nun saugen die trocken gelassenen Partien des Blattes, der Natur eines trockenen Papieres gemäß, rasch Wasser auf und damit zugleich die Farbe. Diejenigen aber, die bereits nass sind, bleiben ohne Farbe, denn sie nehmen ja kein Wasser mehr auf. Anschließend wird das Blatt auf der Wäscheleine getrocknet. Danach läßt sich der Vorgang exakt mit einer weiteren Farbnuance wiederholen, so daß sich über die erste Tönung an genau den gleichen Stellen oder aber auch an beliebig anderen, eine zweite mit eben der gleichen zarten Tonung aufbringen läßt. Dabei schimmert nun die erste Farbschicht hindurch. Und so fort, bis sich eine bestimmte Anzahl solch übereinandergelegter Farbschichten zu einer von Bildpartie zu Bildpartie unterscheidbaren Tonabstufung übereinander findet.

Die obere Grenze des Auflösungsvermögens eines trainierten Auges liegt bei der Unterscheidungsfähigkeit von ca. 50 Farbtönen und darin liegt nun sowohl die artistische Fertigkeit, wie auch der Grad handwerklicher Subtilität Paul Heimbachs, Farbtöne in einer Weise zu kombinieren, von der Reihenfolge ausgehend, die ja nicht unwichtig für das Erscheinungsbild seiner Tuschebilder ist - bis hin zu den mit klarem Wasser aufgetragenen Strukturen innerhalb dieser Schichtungen. Denn wie nahe liegt doch - und das können auch Sie mit Ihrer Erfahrung bestätigen - der Kitsch, die Grenzen des geschmacklich erträglichen gerade in der Farbwahl beschlossen, die eine an-und-für-sich gelungene Form ins Vulgäre hinabziehen kann, wie eine ständig lauernde Gefährdung. Das Gelingen seiner Entscheidungen kann Paul Heimbach für sich nur behaupten. Behaupten sage ich, denn es gibt keinen einzigen Beweis für ihn, daß diese oder jene Entscheidung richtig, eine andere aber falsch gewesen ist, außer das Gefallen, das ein Betrachter bekundet. Was aber kann das Gefallen bei einem Betrachter hervorrufen? Doch ganz sicher nicht das Wissen um die Reihenfolge der Farbschichten oder das Wissen, daß dieser Klecks mit einem Schwamm geworfen wurde. Dieses Wissen ist anekdotisches Beiwerk, Marginalien der Kuriosität - und wie Vieles bei der Kunst ist marginale Kuriosität. Der Betrachter hat ja ein abgeschlossenes Bild vor sich, er ist konfrontiert mit dem ganzen Bild und dem Eindruck, den er von dort her bekommt. Dieser Eindruck setzt ihn in Bewegung, läßt Assoziationen entstehen, sei es die Erinnerung trägt ihn fast vergessene Bilder wieder in Erinnerung, sei es, daß sich Begriffsassoziationen einstellen, wie Vulkan, Baumringe, Rauchkringel: Immer steht am Beginn das auch von Leonardo angesprochene Ereignis des spielerischen Ingangsetzens der Phantasie und erst dann beginnt das eigentümliche Spiel der Bilder für den Betrachter aufzuscheinen. Die Transparenz der Schichten erweitert sich zu räumlichen Gebilden, die Tiefendimension wird plastisch, der Kreis oder Fleck beginnt zu schweben, die Streifen wechseln ihren Aggregatzustand. Und um Ihnen ein Beispiel zu geben, wie ein Zeitungskritiker in einer Besprechung der Tuschebilder Paul Heimbachs einmal mit einer schiefen Metapher seines Eindrucks Herr zu werden versuchte: er schrieb, es regnete Bindfäden! Sie werden bemerken, wie schwach diese Assoziation dieses in-Bewegung-geraten auszudrücken vermag. Die richtige Beobachtung, die er an sich selber machte, legte er den Bildern in den Mund - um in dieser Metapher das zu umschreiben/ was sich bei ihm für uns als Verwechslung von Bild und eigener Reaktion auf die bildnerischen und farblichen Strukturen klar erkennen läßt. Stellen wir die Frage aber weiterhin, ob es denn Kunst sei, bei dem was Paul Heimbach von seinen vielfältigen Arbeiten hier für diese Ausstellung zusammengestellt hat.

Neben den Tuschebildern finden Sie auch ausgewählte Zeichnungen, die als gleichrangige, selbständige Arbeiten Paul Heimbachs in dieser Ausstellung zu sehen sind. Zeichnungen, die sich im wesentlichen dadurch von den Tuschebildern - wie Sie leicht bemerken werden - unterscheiden, daß die Farbtonschichtungen nicht transparent sind, sondern deckend aufgetragen wurden. Zumeist auf einer farbigen Grundierung, die die Oberfläche bedeckt (etwa schwarz oder silberbronzen). Darauf ist mit Graphit eine Schraffur aufgetragen, die sich über die feine glitzernde Struktur des behandelten Untergrundes als ein Gitter legt. Aus dieser ist dann in einem Fall mit dem Radiergummi diese Gitterstruktur teilweise in Kreisbögen und guerlaufenden Schraffen der Graphit gleichsam wieder abgetragen. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, daß das optische Vexierspiel der Durchsicht und Aufsicht als ein sich ständig umkehrender Prozeß eintreten kann. In einem anderen Beispiel ist in einer Zeichnung mit pastosem, aber dichtem Farbauftrag dieses Vexieren durch dichte Tuschefarben erreicht. Erst die Bücher, Kuriositäten, wenn man den Witz in Betracht zieht, der von "Alles" zu "Nichts" durch die Manipulation von Schichtungen führt. Schichtungen, die durch die Transparenz des Pergaments auf jeder umgeblätterten Seite in einer der möglichen 50 Varianten eine völling andere Bildkomposition zeitigt. Beide Seiten zusammen betrachtet erst ergeben in Positiv- und Negativ-Form eine vollständige Komposition, so wie in einem gewöhnlichen Textbuch erst die schon gelesene Seite mit dem Inhalt der Seite, die man gerade liest, einen vollständigeren Sinnzusammenhang erschließt.

Hatten wir bei den Tuschebildern festgestellt, daß erst das Auge des Betrachters das Vexierspiel in Gang setzen muß, um den Sinn dieser Kompositionen zur Geltung zu bringen, so ist bei den Transparentbüchern das Umblättern ein in der Komposition eingeschlossener Teil, ohne den die Arbeit unvollständig und leblos bleiben müsste. Ziehen wir die Schlüsse aus unseren Beobachtungen und Bemerkungen und kommen wir damit auch zum Schluß-Ende: In Paul Heimbachs Arbeiten stellt sich eine Doppeldeutigkeit der optischen Gestaltung selber dar: Aus unseren Sehgewohnheiten ergibt sich immer ein Vexieren von freien Formen und Gestalten, die nicht gegenständlich eindeutig gehalten sind. Vagheit der Gestalt veranlaßt uns in uns selber nach Erinnerungen an mögliche Gestalten zu suchen, die wir mit vagen Formen in Verbindung bringen können - dies tun wir auch dann, wenn wir nicht Kunstwerke betrachten, sondern uns in der Alltagswelt zurecht finden müssen, dort aber um eines möglichst konfliktfreien Überlebens willen. Das Kunstwerk aber läßt uns die Freiheit mit diesen unseren Erinnerungen und Assoziationen zu spielen, sie nach ihrer angenehmen Seite hin auszukosten und ebenso ihre bösen, schweren, traurigen oder lästigen Seiten abzutasten. Dabei kommt das bildnerische am Denken ebenso ins Spiel, wie das Wort, wenn wir dabei an Assoziationen denken, die über einen Begriff entstehen und uns zu neuen Erinnerungen führen. So gesehen sind diese Bilder Spiegel, die auch nur das zu spiegeln in der Lage sind, was wir - mal uns selber - mal irgendetwas anderes - vor sie hinbringen. Überlassen Sie sich diesem Spiel Ihrer Phantasie, denn sie ist notwendig, um aus den Arbeiten Paul Heimbachs Kunstwerke entstehen zu lassen. Die Kunst in diesen Arbeiten ist ohne den Betrachter schlummernd. Kunstwerke werden sie erst, wenn ein Betrachter - wenn Sie das reiche Spiel entdecken.


Peter Gerlach