Originalfassung
Public Space in a private Time
 
1)
Ein Museum ist ein öffentlicher Ort, aber nur für
diejenigen, die sich bezüglich eines Museums als Öffentlichkeit
betrachten. Ein Museum ist ein simulierter öffentlicher
Raum, autodirektional (auto-directional) und unifunktional (uni-functional),
während ein wirklicher öffentlicher Raum multidirektional
(multi-directional) und omnifunktional (omni-functional) ist. Zu einem Bahnhof
geht man, um einen Zug zu nehmen; aber während des Wartens kann man
in Läden schmökern, oder in einer Bar etwas trinken, oder in einem
Wartesaal sitzen. Geht man aber in ein Museum, tut man nichts anderes als
ins Museum zu gehen. Um ins Museum zu gehen, muss man ein Museumsgänger
sein; man geht ins Museum, um ein Museumsgänger zu bleiben.
Was wollen Museumsgänger? Was tun Sie überhaupt hier? Originalfassung
 
2a)
Leben am Abgrund: Das Marginale als Zentrum öffentlicher Kunst
Innerhalb der Galerie/des Museums funktioniert der Künstler als Mittelpunkt
eines bestimmten Systems; ausserhalb dieses Systems ist er verloren zwischen
Welten - die Position des Künstlers in unserer Kultur ist marginal.
Der öffentliche Künstler/die öffentliche Künstlerin
kann diese Marginalität zu seinem/ihrem Vorteil verwenden. Der öffentliche
Künstler/die öffentliche Künstlerin wird physisch zur Seite
gedrängt; es wird von ihm/ihr verlangt, sich nicht mit den Gebäuden,
sondern mit den Gehsteigen zu beschäftigen, nicht mit der Strasse sondern
den Bänken am Rande der Strasse, nicht mit der Stadt sondern den Brücken
zwischen den Städten. Der Künstler ist ausserhalb und zwischen
den Zentren verdeckt; öffentliche Kunst funktioniert, wörtlich,
als eine marginale Anmerkung: sie kann den Hauptteil des Textes einer Kultur
kommentieren und anfechten. Originalfassung
 
2b)
Die Barriadas als ein Modell für öffentliche Kunst
Die Barriada lebt als Parasit: sie klammert sich an ein Land, das ihr nicht
gehört, sie besteht aus übriggebliebenem Material der Vaterstadt,
sie ernährt sich durch abgezapfte Elektrizität und Wasser für
einen anderen Bestimmungsort.
Die Barriada lebt im Vater, am Platz, der dem Vater gehört, aber in
ihrer eigenen Zeit, wie ein Krebsgeschwür. Originalfassung
 
3)
Früher konnte man die Strasse hinuntergehen, und man wusste immer,
wie spät es war. Es gab eine Uhr in jedem Laden; es reichte, beim Vorbeigehen
durch das Fenster zu schauen. Aber dann änderten sich die Zeiten und
die Zeit verschwand. Sie ging zwar nicht wirklich weg, aber sie ging aus:
Die Zeit ging aus wie ein Virus und verbreitete sich in all den Körpern
auf den Strassen. Die Zeit zielte nicht ins Herz sondern direkt an den Arm
und passte um das Handgelenk in Form einer Uhr: Die Quarzuhr war weder schwierig
herzustellen noch zu tragen, die billige Armbanduhr, die man an jeder Strassenecke
für zwei oder drei Dollar kaufen konnte. Es war nicht mehr nötig,
die Zeit auf der Strasse, in der Bank oder in einer Spirituosenhandlung
zu installieren; kein Bedarf für Zeit an dem Ort zu sein, wo man vorbeikam,
wenn man sie ohnehin mit sich am Ärmel trägt. Man hatte die Zeit
(beinahe) in der Hand. Die öffentliche Zeit war tot; es war keine Zeit
mehr für öffentlichen Raum; und öffentlicher Raum würde
als nächstes dransein. Originalfassung
 
4)
Der unschuldige Zuschauer und die Qual der Wahl
Wenn eine Person eine Galerie/ein Museum betritt, gibt sie sich selber als
Kunstbetrachter zu erkennen; der Kunstbetrachter unterwirft sich den Bedingungen
der Kunstarena, er ist einverstanden ein Opfer zu sein. Ausserhalb der Galerie/des
Museums, an einem öffentlichen Ort, gibt es keine Kunstbetrachter;
dort sind nur Passanten mit verschiedenen Geschichten und Neigungen. Diese
Leute haben nicht nach Kunst gefragt; wenn sie einem öffentlichen Kunstwerk
begegnen, sehen sie es nicht als Kunst, sondern als etwas in ihrer Welt,
das vorher nicht da war. Um in der Welt zu existieren, stimmt öffentliche
Kunst gewissen sozialen Konventionen zu, gewissen Regeln einer friedlichen
Koexistenz; der öffentliche Künstler gibt das Privileg eines jeden
Galeriekünstlers, nämlich das Privileg der Täuschung auf.
Indem öffentliche Kunst ihre spezifische Art als Deckung braucht, kann
sie leicht übersehen werden; statt anzugreifen, zeigt sich öffentliche
Kunst beinahe unbemerkt. Originalfassung
 
5)
Öffentlicher Raum ist gemacht, er war nicht schon immer da. Was wir
den öffentlichen Raum einer Stadt nennen, wurde von einer Regierungsstelle
(in der Form eines Parks) oder von einer privaten Firma (in Form eines Platzes
vor einem Bürohochhaus oder eines Innenhofes im Gebäude) produziert.
Was produziert wird, ist ein Produkt: es wurde von einer Firma
für die Luftrechte oder das Recht höher zu bauen, eingetauscht
- die Regierung garantiert es den Leuten als öffentliche Wohltat, als
ein Teil des Wohlfahrtssystems. Was produziert wird, ist eine Produktion:
ein Spektakel das die Firma oder den Staat glorifiziert. Der Raum ist also
dem Publikum ausgeliehen, geschenkt - die Leute werden als eine organisierte
Gemeinschaft betrachtet, als Mitglieder des Staates und mögliche Konsumenten.
Öffentlicher Raum ist ein Abkommen: zwischen gross und klein, Eltern
und Kind, Institution und Individuum. Die Übereinkunft ist, dass ihnen
allen der öffentliche Raum gehört, sie aber im Gegenzug wiederum
dem Staat gehören. Originalfassung
 
6)
Lesen sie das Wort öffentlicher Raum wörtlich, verbissen,
stumm. Ein Raum ist öffentlich wenn: 1) er seiner Form
nach öffentlich ist, wenn er öffentlich benutzbar ist, so dass
man in ihm sitzen kann, dass man darüber gehen, darunter kriechen,
zwischendurch rennen, sich darauf ausstrecken und darin leben kann; 2) seine
Bedeutungen sind öffentlich, seine Bedeutungen sind öffentlich
zugänglich - der Raum besteht aus Konventionen, Bildern, Zeichen, Objekten,
die jedes Mitglied einer bestimmten Kultur automatisch erkennt, auswendig
kennt; 3) seine Wirkung öffentlich ist, seine Wirkung öffentlich
dienlich ist - der Platz formt sowohl das Publikum, das ihn benutzt, als
auch die öffentliche Dienststelle, die ihn organisiert. Ein Ort ist
öffentlich, wenn er entweder die öffentliche Ordnung aufrecht
erhält oder aber ändert. Ein Ort ist einerseits öffentlich,
wenn er als öffentliches Gefängnis funktioniert: seine Konventionen,
Bilder, Zeichen und Objekte werden Wirklichkeit, Tatsachen des Lebens -
die Bewohner erstellen ein Ordnungssystem, worin alles seinen festen Platz
hat und worin sie sich einpassen. Andererseits ist ein Ort öffentlich,
wenn er als öffentliches Forum funktioniert: seine Konventionen, Bilder,
Zeichen und Objekte sind durcheinander geraten, zusammengestossen oder in
Stücke gebrochen, sie sind destabilisiert worden (es sind keine soliden
Tatsachen mehr); die Kraft, die jeder Konvention zugrunde liegt, ist aufgedeckt
(der Raum bietet Gelegenheit zur Diskussion, die vielleicht zur Streitfrage
wird, die vielleicht zur Revolution wird). Originalfassung
 
7a)
Leute versammeln sich in zwei Arten von Raum. Der erste ist ein Ort, der
öffentlich ist, worin man sich versammelt, weil man ein Recht auf den
Ort hat; der zweite ist ein Ort, der öffentlich gemacht wurde, worin
man sich versammelt gerade weil man kein Recht dazu hat - ein Ort, der durch
Zwang öffentlich gemacht wurde.
In dem Raum, der öffentlich ist, haben die Leute dieses Raumes zugestimmt,
ein Publikum zu sein; dies sind Leute in Form der Stadt, sie
sind öffentlich, wenn sie im Namen der Stadt handeln. Sie
besitzen die Stadt nur in Anführungszeichen. Die Festsetzung
gewisser Räume der Stadt als öffentlich ist ein Aufruf,
eine Warnung, dass der Rest der Stadt nicht öffentlich ist. Originalfassung
 
7b)
Der Raum, der öffentlich gemacht wurde, begann als sein eigenes Gegenteil.
Es war ein Raum, der niemals für die Öffentlichkeit vorgesehen
war: ein königlicher Raum, ein Raum eines Präsidenten oder einer
Korporation. Dieser private und privilegierte Raum beinhaltet von Anfang
an den Keim des öffentlichen Raumes: die reine Tatsache seiner Existenz
provoziert Verlangen, seine Privatsphäre verhöhnt die ausgeschlossene
Öffentlichkeit. Originalfassung
 
8)
Das Erbauen von Räumen in der Stadt wird einer etablierten Disziplin
zugeschrieben: die Vertikale ist der Architektur zugeordnet, die Horizontale
der Landschaftsarchitektur, und die Vernetzungslinien dazwischen dem Ingenieurwesen
(Maschinenbau). Die Stadt hat alles Design, das sie benötigt. Öffentliche
Kunst, eine andere Kategorie, muss, um eine Funktion im Design einer
Stadt zu haben, auf eine ihrer Grundbedeutungen zurückgreifen: List.
Öffentliche Kunst muss sich in das, was bereits in der Stadt besteht,
einzwängen und einfügen. Ihre Vorgehensweise ist, scheinbar unnötige
Eingriffe im gebauten Umfeld vorzunehmen: sie addiert zu der Vertikalen,
subtrahiert von der Horizontalen, multipliziert und dividiert das Netzwerk
der Zwischenlinien. Diese Operationen sind überflüssig, sie wiederholen
das schon Vorhandene, das somit wie eine Krankheit wuchert. Die öffentliche
Kunst hat die Funktion, dem Design entgegenzuwirken. Originalfassung
 
9a)
Land in Sicht! schreit der Seemann vom Mast herunter, nachdem
er entdeckt, dass sich das Schiff, nach einem Leben auf See, dem Ziel nähert.
Das ist der Ursprung des Wortes landscape. Um Entdeckungen überhaupt
möglich zu machen, musste sich das Land erst weit weg befinden; Land
muss weit entfernt sein, damit es plötzlich in seiner Gesamtheit, als
Panorama, entdeckt werden kann. Land weicht zurück und wird landscape.
Landscape entspricht landescape; das Land entzieht
sich unserem Zugriff: Das Wort landscape zieht das Land weg
oder drückt einen zurück, weg vom Land. Originalfassung
 
9b)
Landfall (Landkennung): (Def.) Sichten von Land auf See, erstes
Erblicken von Land nach einer Reise. Das Wort landfall impliziert
Land, worauf man zum ersten Mal stösst, es ist das Land, das einen
überkommt; landfall ist wie Regen- oder Schneefall - das
Land kommt herunter wie Schnee oder Regen herunterkommt. Um herabzukommen,
muss Land zuerst aufsteigen. Nähert sich das Schiff dem Ufer, schwillt
das Ufer an, bläht sich über dem Schiff auf wie ein Wal - das
Land verschlingt das Schiff und die See. Das Wort landscape
hütet sich vor dem Wort landfall. Damit das Land sich nicht
erhebt wie Donner, hält man es an Ort und auf Distanz. Originalfassung
 
10)
Bemerkungen zur Schaffung von Schutz
Finding Shelter (Schutz finden) heisst: unter einem Felsvorsprung,
einem Felsblock leben. Schutz finden geschieht zufällig:
man geht - es beginnt plötzlich zu regnen, man geht schneller, schaut
sich um und da ist ein Felsvorsprung, er war schon immer da - man kriecht
darunter, schützt sich vor dem Regen. Schutz finden ist
ein Akt der Anpassung; man lüftet den Hut vor der Natur, kein selbst
kann sich angesichts der Natur behaupten. Eine fortgeschrittenere Form von
Schutz suchen ist, sich ein Loch oder eine Höhle zu graben.
Making shelter (Schutz schaffen): Schutz schaffen (wie wir es
in der westlichen Kultur kennen) ist dagegen ein Akt, die Natur zu erobern,
der Natur etwas aufzusetzen. Making shelter ist männlich. Originalfassung
 
11)
Landschaft (landscape), ist ein Versuch, Land an Ort zu halten,
in einem Stück, ausser es sei zerstückelt und zersplittert durch
Landminen - (Def.) Höhlung in der Erde mit explosivem Inhalt,
direkt unter der Erdoberfläche, der durch das Gewicht einer vorbeigehenden
Person losgehen soll. In einer Landschaft ist man in der Welt
von Science-fiction: Über der Erde in einem Raumschiff fliegend ist
ein vorteilhafter Ausgangspunkt, die Welt zu entdecken und zu erfassen.
Bei einer Landmine befindet man sich in der Welt der Detektivgeschichten
und des film noir: den Luxus herumzuschauen oder vorauszublicken
gibt es nicht. Man muss genau dahin schauen, wo man steht. Ein Blick seitwärts
oder vorwärts lenkt die Gedanken von der Erde zu unseren Füssen
ab, ein Blick und die Erde übernimmt das Geschehen, der Boden erhebt
sich und sprengt uns von ihm weg. Originalfassung
 
12)
Um vergangene Vorstellungen von Landschaft zu erhalten, geh am eigentlichen
Land vorbei, hinab zu den Minen unter der Erde. Die Landschaft ist auf den
darunterliegenden Gruben und Höhlen gegründet. Landschaftsarchitektur
könnte redefiniert werden als Architektur innerhalb und unter und durch
das Land. Landschaftsarchitektur ist die Architektur, die dem Land entflieht,
die sich versteckt und im Untergrund verschwindet; wenn bauen auf dem Land
ein Zufügen ist (ein Akt, dem Land Strukturen zuzufügen), dann
ist bauen unter dem Land ein Wegnehmen (ein Akt, Land wegzunehmen, damit
Strukturen in das Land eingefügt werden können: das Land ist analysiert
- in Stücke eingeteilt). Landschaftsarchitektur ist die Architektur
des Fundaments: das Bauen einer Basis - gleitender Übergang von niedrig
zu niedrigen Instinkten und noch niedrigerem Verlangen. Originalfassung
 
13)
Ein Ausblick auf die Landschaft kann ersetzt werden durch einen Blick durch
die Landschaft. Anstelle eines Objektes für die Augen wird Landschaft
ein Objekt für den Körper; anstatt ein Objekt für Sicht zu
sein, ist es ein Objekt für Berührung - ein Objekt zur Einführung
des Körpers in die Landschaft. Originalfassung
 
14)
Das logische Ende von landscape ist das Ende der Landschaft,
die leere Landschaft, die ganz weisse oder ganz schwarze Landschaft; ob
alle Einzelheiten entfernt oder alle möglichen Einzelheiten kombiniert
sind, alle Länder sind verschmolzen. Der Mensch vor dieser Landschaft
hat nichts, um darauf zu zeigen, oder zu viel, um auf alles gleichzeitig
hinweisen zu können. Die Abwesenheit der Richtung verwischt das hier
und da: Der Zeigende versinkt im Akt des Zeigens, die Person
wird in die Projektion aufgesogen und verschwindet in der Perspektive und
der Zukunft. Originalfassung
 
15)
Zeit ist schnell und Raum ist langsam. Raum ist ein Versuch, Zeit zu plazieren
und zu verstehen; Raum ist ein Bedürfnis, etwas zu sehen und einen
festen Boden unter den Füssen zu haben; Raum ist ein Verlangen, dem
Lauf der Geschehnisse zu folgen und an Ursache und Wirkung zu glauben. Das
elektronische Zeitalter entwertet Raum und überspringt Orte. Man reist
im Flugzeug: man ist an einem Ort, dann ist alles weiss draussen und dann
- zap! - ist man an einem anderen Ort, dazwischen ist nichts. Man wechselt
die TV-Kanäle, spult das Videogerät vor- und rückwärts,
anstatt einen Film vom Anfang bis zum Ende anzuschauen. Das elektronische
Zeitalter setzt den Vorrang der Zeit fest. Das Videospiel gegen den Flipperkasten.
Das Tastentelefon gegen das Drehscheibentelefon, die digitale Uhr gegen
eine Uhr, deren Zeiger in einem Feld herumwandern, worin jede einzelne Sekunde
Platz hat. In einer schnellen Zeit ist öffentlicher Raum - in der Form
eines wirklichen, begrenzten Ortes - ein Verlangsamungsprozess, ein Versuch,
Zeit zu stoppen und in der Geschichte zurückzufinden zu einer früheren
Zeit. Originalfassung
 
16)
Ein Raum wird öffentlich, wenn er in der Öffentlichkeit verschwindet:
der Raum löst sich in Neutronen und Wellen und Partikel auf. Der Raum
wird ein Netzwerk von parallelen Räumen - physikalischer Raum, projizierter
Raum, topologischer Raum - die sich in einem verflochtenen Raum treffen,
übermittelt durch Telefon, Fernsehen und Computer. Heute, in einer
Welt aus Fleisch und Blut, ist ein öffentlicher Raum nur ein Traum:
der Traum seiner eigenen Auflösung. Das Ziel von öffentlichem
Raum ist es, sich in den Nerven der Öffentlichkeit aufzulösen;
das Ziel des öffentlichen Raums ist für Raum und Öffentlichkeit
ein und dasselbe. Originalfassung
 
17)
Öffentlicher Raum, im elektronischen Zeitalter, ist Raum auf der Flucht.
Öffentlicher Raum ist nicht Raum in der Stadt, sondern die Stadt selbst;
nicht die Knotenpunkte, sondern die Verkehrsadern; nicht Gebäude und
Plätze, sondern die Strassen und Brücken. Öffentlicher Raum
verlässt das Zuhause und verzichtet auf den Trost der Versammlungsorte,
die ein Zuhause ersetzen. Raum auf der Flucht ist sich auflösendes
Leben. Es ist keine Zeit zu reden: Es ist kein Bedürfnis zu reden,
da man alle nötigen Informationen am Radio hört, das man mit sich
trägt. Da ist kein Bedürfnis einer Mensch-zu-Mensch-Beziehung,
weil man schon vielfache Beziehungen mit den Stimmen im Radio pflegt, mit
den Bildern von Menschen in Schaufenstern und auf Reklameflächen; es
bleibt keine Zeit stillzustehen und eine Beziehung anzufangen, das wäre
eine Verneinung all jener Körper, die sich Seite an Seite in der Strasse
befinden, ein Körper nach dem anderen, ein Körper den andern ersetzend.
Es ist keine Zeit, kein Bedürfnis und keine Möglichkeit tiefen
Sex zu haben: In einem Pestjahr, im Zeitalter von AIDS begegnen sich
die Körper in Kondome gekleidet und mit vaginalen Schildern gerüstet
- der Körper nimmt sein eigenes Haus mit, wohin er auch geht, er befreit
sich nie aus seiner Schale. Das elektronische Zeitalter und die Zeit von
AIDS begegnen sich in der Zeit des Virus, sei es das Virus der Information
oder der Krankheit. Jeder Mensch ist zu verseucht, durch Information oder
Krankheit, um mit einem anderen zusammen zu sein. Man kommt zu Besuch, nicht
um zu bleiben. Originalfassung
 
 
© 1997 Vito Acconci. Alle Rechte vorbehalten.
Übersetzung Katharina Ammann